środa, 18 listopada 2015

SPIEGEL-Brief

Sehr geehrter Herr Pascal Alter!

Was ist Macht? Was bewegt die Mächtigen? Wie gehen sie mit ihrer Macht um, zu wessen Vor-, wessen Nachteil? Die besten Geschichten, die ich kenne, behandeln diese Fragen. Sie machen „Macbeth" oder „Richard III." so packend, sie erklären den Erfolg von Serien wie „Game of Thrones" oder „House of Cards" – und ohne den SPIEGEL mit Shakespeare vergleichen zu wollen: Für mich sind dies die Fragen, die den SPIEGEL zum SPIEGEL machen.

Michael Bloomberg war so ein Mächtiger: Multimilliardär. Bürgermeister der Welthauptstadt New York. Möglicher Präsidentschaftskandidat, eine weithin sichtbare, schillernde Lichtgestalt. Was ist aus ihm geworden, seitdem er Amt und Macht vor zwei Jahren abgeben musste? Aus Lust am Herrschen und Sorge um sein Lebenswerk, aus einer Mischung von Langeweile und Ehrgeiz ist Bloomberg, 73, an die Spitze seines gleichnamigen Medienimperiums zurückgekehrt. Bloombergs Rückkehr, so beschreiben es meine Kollegen Isabell Hülsen und Holger Stark, ist für die Firma und alles, wofür sie steht, offenbar eine Heimsuchung: Der Alte feuert Redakteure zu Dutzenden, er herrscht egoman und demontiert sogar ohne jede Not den Qualitätsjournalismus, für den sein Unternehmen in der Zeit seiner Abwesenheit bekannt geworden ist. Bloomberg gefährdet seinen bislang exzellenten Ruf als Philanthrop.

Zu den mächtigsten Männern Deutschlands zählt Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Sein Gericht vermag sogar Gesetze, die das Parlament beschlossen hat, für nichtig zu erklären. Dabei sind Parlamentarier direkt vom Volk gewählt – Verfassungsrichter nicht. Was macht diese Macht mit dem Menschen Voßkuhle? Er stattete kürzlich dem SPIEGEL in Hamburg einen Redaktionsbesuch ab und stellte sich den Fragen meiner Kollegen Klaus Brinkbäumer, Dietmar Hipp und Markus Verbeet – Pflichtlektüre für jeden, der verstehen will, wo das deutsche Machtzentrum wirklich liegt.

Der unmittelbaren, archaischen Form von Macht ist mein Kollege Clemens Höges nachgestiegen: der Waffengewalt. Er reiste über den Irak nach Syrien, besser: nach Rojava – in das Gebiet, das die Milizen der syrischen Kurden in den vergangenen Monaten erobert haben. Die Kämpfer von Rojava träumen von einer Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Und sie wollen Verbündete des Westens sein in ihrem Krieg gegen den „Islamischen Staat". Höges traf auf eine 23-jährige Scharfschützin, auf einen einhändigen Rojava-Anführer – und in den Ruinen der Stadt Kobane auch auf Abdullah Kurdi, den Vater des bei Bodrum ertrunkenen Jungen Alan Kurdi.

Dessen Foto ging um die Welt. Die Macht des Bildes sorgte mit dafür, dass sich Deutschland weit geöffnet hat für Syriens Flüchtlinge. Vater Kurdi geht es derzeit nicht gut. „Jeden Tag geht er nun zu den Gräbern, spricht mit seinen Toten", schreibt Höges. „Manchmal kauft er Kekse für die Kinder, und dann fällt ihm ein, dass sie ja tot sind."

Bloomberg, Voßkuhle, Rojava: Drei SPIEGEL-Geschichten über Aspekte von Macht, die ich Ihnen nur empfehlen kann.

Ihr Marco Evers 
SPIEGEL-Redakteur

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