poniedziałek, 6 lipca 2015

SPIEGEL-Brief

Sehr geehrter Herr Pascal Alter!

Wie wäre es, jeden Morgen mit einem Flüchtling aus Syrien zu frühstücken, sein Bad mit jungen Eriträern zu teilen, sein Sofa mit einer afghanischen Familie? Würde es mich stören, oder wäre es, im Gegenteil, eine Bereicherung? Und: Ist es in diesen Zeiten selbstsüchtig, es nicht zu tun? Diese Fragen stelle ich mir, wenn ich von Menschen wie Werner und Hilde aus Quierschied höre, einem kleinen Ort im Saarland. Die beiden sind 90 und 86 Jahre alt, vor sieben Monaten ist Mazen aus Syrien bei ihnen eingezogen, selbst ein Vater, ein Ehemann, inzwischen nennt er Hilde Mama und Werner Baba, all das beschreibt meine Kollegin Özlem Gezer in ihrer Reportage. Sie hat bei ihnen auf dem Sofa gesessen und miterlebt, wie so etwas gehen kann: ein privates Zuhause für Flüchtlinge. Wie der gemeinsame Alltag aussieht, wenn Mazen fünfmal am Tag zu Allah betet und Hilde in der Zwischenzeit ihr Likörchen trinkt; wie sie gemeinsam Rommé spielen; wie sie sich in den vergangenen Monaten nähergekommen sind, die alten Leute und der Flüchtling. "Sie gehören wahrscheinlich einer deutschen Minderheit an", schreibt Gezer. "Gut zu leben bedeutet für sie nicht, ihre Ruhe zu haben." Ich weiß noch nicht, ob ich zu dieser Minderheit gehören könnte. Ich bewundere sie. Für Hilde und Werner scheint klar: Mazen stört nicht, Mazen ist ihr Sohn geworden.

Auch der Text "Die Vergessenen" von unserer Israel-Korrespondentin Nicola Abé beschreibt, wie ein Leben weitergeht, wenn alles verloren scheint. Doch anders als bei Mazen aus Syrien bleibt derNeuanfang für Familie Wahdan aus Gaza vorerst ein Traum. Vor einem Jahr rekonstruierte der SPIEGELdie Geschehnisse, die diese Familie in den Abgrund gezogen hat. Ihr Schicksal war so grausam, ich habe es bis heute nicht vergessen. Israelische Bomben hatten im letzten Gazakrieg ihr Haus getroffen und acht Familienmitglieder getötet, darunter drei Kinder. Vieles deutete auf ein Kriegsverbrechen hin. Abé hat die überlebenden Wahdans besucht, ein Jahr nach dem Angriff. Sie hausen neben den Trümmern ihres alten Hauses in einer Baracke aus Holz, Plastikplanen und Pappe und sehnen sich nach Gerechtigkeit. Immerhin: Den Haag beschäftigt sich mit dem Fall.

Wie kann man sich einer Sache entgegenstellen, die vollkommen übermächtig ist? Vor dieser Frage steht auch der 14-jährige Häni aus dem Süden Tunesiens - und mit ihm das ganze Land. Die Mächtigen sind in diesem Fall die Terroristen: Seit ein Attentäter vergangene Woche im Ferienort Sousse 38 Urlauber erschoss, befindet sich Tunesien in "einer der schwersten Krisen seit der Revolution 2011" - das beschreibt ein Team von Kollegen aus dem Auslandsressort. Sie trafen den jungen Häni, der einen Bruder und einen Cousin verlor, weil sie sich den Terroristen anschlossen. Sie trafen einen jungen Hotelier, dem nun die Gäste fehlen. Und einen Abgeordneten aus Sousse, der es für falsch hält, jetzt Moscheen zu schließen. "Wenn zwei Leute eine Schlägerei in einer Bar anfangen, wird dann die Bar geschlossen?", fragt er. Es gibt keine einfachen Antworten.

Viel Spaß bei der SPIEGEL-Lektüre wünscht Ihnen

Ihre Dialika Neufeld
SPIEGEL-Redakteurin

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