sobota, 26 września 2015

SPIEGEL-Brief

Sehr geehrter Herr Pascal Alter!

Menschenjagden, Sprengstoffanschläge und serienweise politische Morde mitten in Westdeutschland, und die Täter lässt man laufen? Ja, das gab es, und zwar mit Wissen der jeweiligen Regierungschefs, wie meine Kollegen Sven Röbel und Andreas Wassermann berichten. Viele Jahre lang, bis in die Achtzigerjahre, verfolgten Killer im Auftrag des jugoslawischen Staatschefs Tito und seiner Erben auf bundesdeutschem Boden gewaltsam kroatische Separatisten. Nun zeigt ein Prozess gegen zwei Geheimdienstler von damals, wie zögerlich hiesige Politiker den Untaten begegneten: Die guten Kontakte zu Belgrad waren wichtiger als Dutzende Anschläge. Erst 2014 wurden die beiden Angeklagten auf Druck der EU an Deutschland ausgeliefert; viele ihrer früheren Kollegen wird man nie mehr enttarnen können - ein düsteres, kaum aufgearbeitetes Kapitel der Zeitgeschichte, sorgsam recherchiert und packend erzählt.

Auch in der nächsten Geschichte, die mich sehr beeindruckt hat, geht es um einen Prozess, der mehr Aufmerksamkeit verdiente: Afrika-Spezialist Bartholomäus Grill stellt die Anklage gegen Hissène Habré vor, der von 1982 bis 1990 Präsident des Tschad war. 40.000 Menschen soll der Despot auf dem Gewissen haben, zahllose weitere, die durch bestialische Folter verstümmelt und traumatisiert worden sind. Mehr als zwei Jahrzehnte hat es gebraucht, bis diese Verhandlung im Senegal überhaupt stattfinden konnte; entscheidend mitgewirkt hat daran der US-Amerikaner Reed Brody von Human Rights Watch. Auch die weiteren Gestalten der Reportage prägen sich ein: Hauptzeuge Souleymane Guengueng etwa, Vater von neun Kindern, oder die Anwältin Jacqueline Moudeina, die 2001 von einer Handgranate beinahe zerfetzt wurde. Es macht schon sehr nachdenklich, dass sie und ihresgleichen weiterhin Personenschutz brauchen: Selbst heute, so lange nach Habrés Entmachtung, weiß der Familienclan des Exdiktators ein Klima der Angst zu verbreiten.

Wer der verstörenden Wirklichkeit entfliehen will, greift paradoxerweise gern zum Thriller. Einer der Altmeister in diesem Genre ist Frederick Forsyth, der seine Fangemeinde immer wieder mit detailgenauen Agentenstorys fasziniert. Nun aber hat der frühere Air-Force-Pilot und Journalist seine Memoiren geschrieben - und mein Kollege Joachim Kronsbein, dessen Krimikenntnisse ich seit Langem bewundere, konnte einige überraschend offene Worte des selbst ernannten "Outsiders" protokollieren. Romane zu schreiben habe er angefangen, weil er "völlig pleite" gewesen sei, erzählt Forsyth; für den britischen MI6 will er, anders als in Meldungen kolportiert, höchstens "ab und an Laufbursche" gewesen sein. Gern hingegen erinnert er sich an eine Affäre mit der Mätresse eines DDR-Ministers. Europas schwergängige Verwaltungsmaschinerie freilich betrachtet er von jenseits des Kanals mit Skepsis: Allein für die Geflügelzucht ein Regelwerk zu schaffen, das dick sei "wie ein Telefonbuch", solche Bürokratie will dem Meistererzähler nicht einleuchten. Ein klares Votum in der Diskussion der Briten über ihre Mitgliedschaft in der EU, die bis zum Referendum, das bis spätestens Ende 2017 abgehalten werden soll, bestimmt noch etliche Schlagzeilen machen dürfte.

Viel Vergnügen bei der SPIEGEL-Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Johannes Saltzwedel 
SPIEGEL-Redakteur

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